Recht auf Fehler als Symbolbild

Recht auf Fehler: Warum eine offene Fehlerkultur für persönliches und berufliches Wachstum unerlässlich ist

Feh­ler sind ein natür­li­cher Teil unse­res Lebens. Den­noch erle­ben wir in der heu­ti­gen Gesell­schaft eine zuneh­men­de Ten­denz, Feh­ler zu ver­mei­den und sie zu stig­ma­ti­sie­ren. In vie­len Berei­chen unse­res Lebens – sei es im beruf­li­chen Umfeld oder im pri­va­ten Kon­text – scheint der Druck, feh­ler­frei zu agie­ren, immer grö­ßer zu wer­den. Doch war­um ist das so, und wel­che Aus­wir­kun­gen hat die­se Ent­wick­lung auf uns? In die­sem Blog­bei­trag wol­len wir uns inten­siv mit dem The­ma „Recht auf Feh­ler“ aus­ein­an­der­set­zen und unter­su­chen, wie wir eine offe­ne Feh­ler­kul­tur eta­blie­ren kön­nen, die per­sön­li­ches und beruf­li­ches Wachs­tum för­dert.

Im Rah­men Des Pod­casts Coach&Coach gibt es auch eine Fol­ge zu die­sem The­ma:

Die zunehmende Komplexität unserer Welt

Unse­re Welt wird immer kom­ple­xer. Tech­no­lo­gi­sche Fort­schrit­te, die glo­ba­le Ver­net­zung und der stän­di­ge Fluss an Infor­ma­tio­nen haben das Leben in vie­len Berei­chen berei­chert, aber auch kom­pli­zier­ter gemacht. Mit die­ser stei­gen­den Kom­ple­xi­tät geht eine wach­sen­de Unsi­cher­heit ein­her. Infor­ma­tio­nen über Kata­stro­phen, Kri­sen und Gefah­ren sind dank Smart­phones und sozia­ler Medi­en stän­dig ver­füg­bar und beein­flus­sen unser Sicher­heits­be­dürf­nis. In einer sol­chen Welt möch­ten wir Kon­trol­le aus­üben und Feh­ler ver­mei­den – sowohl im pri­va­ten als auch im beruf­li­chen Kon­text.

Die­se Unsi­cher­heit und der Wunsch nach Kon­trol­le füh­ren oft dazu, dass wir ver­su­chen, Risi­ken zu mini­mie­ren, indem wir Feh­ler im Vor­aus aus­schlie­ßen wol­len. Das gilt für Eltern, die ihre Kin­der vor jeder mög­li­chen Gefahr schüt­zen möch­ten, genau­so wie für Füh­rungs­kräf­te, die durch Micro­ma­nage­ment ver­hin­dern wol­len, dass ihre Mit­ar­bei­ten­den Fehl­ent­schei­dun­gen tref­fen.

Micromanagement und Helikoptereltern – Symptome einer überkontrollierten Gesellschaft

Micro­ma­nage­ment im Beruf und das Ver­hal­ten von Heli­ko­pter­el­tern im Pri­vat­le­ben sind zwei Sei­ten der­sel­ben Medail­le. Bei­de Phä­no­me­ne spie­geln die Angst wider, dass Feh­ler nega­ti­ve Kon­se­quen­zen haben könn­ten, die man ver­mei­den möch­te. Doch das Gegen­teil ist der Fall: Indem wir ande­ren – sei­en es Mit­ar­bei­ten­de oder Kin­der – die Frei­heit neh­men, eige­ne Ent­schei­dun­gen zu tref­fen und dar­aus zu ler­nen, ver­hin­dern wir ihre per­sön­li­che Ent­wick­lung.

Micromanagement im Unternehmen

Füh­rungs­kräf­te, die ihre Mit­ar­bei­ten­den stän­dig über­wa­chen und ihnen jede Hand­lung vor­schrei­ben, neh­men ihnen die Mög­lich­keit, eige­ne Erfah­run­gen zu sam­meln. Die­se Art des Manage­ments ist nicht nur demo­ti­vie­rend, son­dern führt auch zu einer Kul­tur der Abhän­gig­keit. Mit­ar­bei­ten­de wer­den pas­siv, trau­en sich weni­ger zu und sind letzt­end­lich weni­ger inno­va­tiv. Die Angst vor Feh­lern erstickt Krea­ti­vi­tät und unter­drückt das Poten­zi­al, das in jedem Ein­zel­nen steckt.

Helikoptereltern im Privatleben

Ähn­lich ver­hält es sich im fami­liä­ren Kon­text. Eltern, die ihre Kin­der vor jedem mög­li­chen Feh­ler bewah­ren wol­len, ver­hin­dern, dass die­se eigen­ver­ant­wort­lich han­deln und aus ihren Erfah­run­gen ler­nen. Kin­der, die kei­ne Mög­lich­keit haben, Feh­ler zu machen, ent­wi­ckeln kei­ne Resi­li­enz und sind spä­ter weni­ger in der Lage, Her­aus­for­de­run­gen eigen­stän­dig zu bewäl­ti­gen. Sie wer­den in einem Abhän­gig­keits­ver­hält­nis gehal­ten, das ihnen lang­fris­tig scha­det.

Die Folgen einer fehlerfeindlichen Kultur

Die Ableh­nung von Feh­lern und die damit ver­bun­de­ne Kon­trol­le füh­ren zu erheb­li­chen nega­ti­ven Fol­gen – sowohl auf indi­vi­du­el­ler als auch auf gesell­schaft­li­cher Ebe­ne.

Wachsender Leistungsdruck

In einer feh­ler­feind­li­chen Kul­tur wächst der Druck, per­fekt zu sein. Feh­ler wer­den als Schwä­che ange­se­hen, was zu einem stän­di­gen Stre­ben nach Unfehl­bar­keit führt. Die­ser Druck ist auf Dau­er nicht nur unge­sund, son­dern auch kon­tra­pro­duk­tiv. Men­schen, die Angst vor Feh­lern haben, ver­mei­den Risi­ken und blei­ben unter ihren Mög­lich­kei­ten.

Fehlende Innovation

Inno­va­ti­on ent­steht oft aus dem Ver­such und Irr­tum. Wenn Feh­ler jedoch stig­ma­ti­siert wer­den, trau­en sich Men­schen nicht, neue Ideen aus­zu­pro­bie­ren. Das Ergeb­nis ist eine Kul­tur der Sta­gna­ti­on, in der das Bewähr­te fest­ge­hal­ten wird, wäh­rend das Poten­zi­al für bahn­bre­chen­de Inno­va­tio­nen unge­nutzt bleibt.

Mangelnde Selbstwirksamkeit

Selbst­wirk­sam­keit – das Ver­trau­en in die eige­ne Fähig­keit, Her­aus­for­de­run­gen erfolg­reich zu bewäl­ti­gen – ent­wi­ckelt sich durch das Erle­ben eige­ner Erfol­ge und das Über­win­den von Feh­lern. In einer Kul­tur, die Feh­ler nicht zulässt, ver­lie­ren Men­schen das Ver­trau­en in ihre eige­nen Fähig­kei­ten und füh­len sich zuneh­mend unsi­cher.

Der Weg zu einer offenen Fehlerkultur

Wie kön­nen wir nun eine Kul­tur schaf­fen, in der Feh­ler als Teil des Lern­pro­zes­ses akzep­tiert wer­den? Hier sind eini­ge Ansät­ze, die sowohl im beruf­li­chen als auch im pri­va­ten Kon­text ange­wen­det wer­den kön­nen:

1. Vorbildfunktion einnehmen

Füh­rungs­kräf­te und Eltern haben eine zen­tra­le Rol­le bei der Eta­blie­rung einer offe­nen Feh­ler­kul­tur. Indem sie offen über ihre eige­nen Feh­ler spre­chen und erklä­ren, was sie dar­aus gelernt haben, set­zen sie ein posi­ti­ves Bei­spiel. Die­ser offe­ne Umgang mit Feh­lern signa­li­siert ande­ren, dass es in Ord­nung ist, Feh­ler zu machen, solan­ge man dar­aus lernt.

2. Den Fokus auf das Lernen legen

Statt nach Schul­di­gen zu suchen, soll­te der Fokus auf dem Ler­nen aus Feh­lern lie­gen. In Unter­neh­men bedeu­tet dies, nicht den oder die Ver­ant­wort­li­chen für einen Feh­ler an den Pran­ger zu stel­len, son­dern zu ana­ly­sie­ren, war­um der Feh­ler pas­siert ist und wie man in Zukunft ähn­li­che Situa­tio­nen ver­mei­den kann. Im pri­va­ten Bereich soll­ten Eltern ihren Kin­dern hel­fen zu ver­ste­hen, wel­che Leh­ren aus einem Feh­ler gezo­gen wer­den kön­nen, anstatt sie für das Fehl­ver­hal­ten zu bestra­fen.

3. Fehler als Chance begreifen

Feh­ler bie­ten die Mög­lich­keit, neue Wege zu ent­de­cken und inno­va­ti­ve Lösun­gen zu fin­den. Wenn wir Feh­ler als Chan­ce sehen, anstatt als Makel, öff­nen wir uns für krea­ti­ves Den­ken und för­dern eine Kul­tur der kon­ti­nu­ier­li­chen Ver­bes­se­rung.

4. Raum für Experimente schaffen

Sowohl in Unter­neh­men als auch im fami­liä­ren Umfeld soll­ten Räu­me geschaf­fen wer­den, in denen Expe­ri­men­te und das Aus­pro­bie­ren neu­er Ideen mög­lich sind – ohne Angst vor Kon­se­quen­zen. Die­se Räu­me ermög­li­chen es, Risi­ken ein­zu­ge­hen und aus Feh­lern zu ler­nen, was letzt­lich zu Wachs­tum und Ent­wick­lung führt.

5. Eine positive Fehlerkultur systematisch verankern

In Unter­neh­men kann eine posi­ti­ve Feh­ler­kul­tur sys­te­ma­tisch durch Pro­zes­se und Richt­li­ni­en ver­an­kert wer­den, die den Umgang mit Feh­lern regeln. Work­shops, in denen Feh­ler­kul­tur the­ma­ti­siert wird, oder regel­mä­ßi­ge Refle­xi­ons­run­den kön­nen hel­fen, das Bewusst­sein für die Bedeu­tung von Feh­lern zu schär­fen und die Offen­heit im Umgang mit ihnen zu för­dern.

Die Rolle der Medien und sozialen Netzwerke

Foto von Nathan Dum­lao auf Uns­plash

Ein wei­te­rer Aspekt, der nicht ver­nach­läs­sigt wer­den soll­te, ist die Rol­le der Medi­en und sozia­len Netz­wer­ke. Feh­ler von Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten oder öffent­li­chen Per­so­nen wer­den in den Medi­en oft gna­den­los aus­ge­schlach­tet. Die­ser Umgang mit Feh­lern trägt dazu bei, dass Men­schen in hohen Posi­tio­nen Angst haben, Feh­ler ein­zu­ge­ste­hen, was zu einer Kul­tur des Ver­tu­schens und der Aus­flüch­te führt.

Sozia­le Netz­wer­ke ver­stär­ken die­sen Effekt, indem sie ein unrea­lis­ti­sches Bild von Per­fek­ti­on ver­mit­teln. Die per­ma­nen­te Kon­fron­ta­ti­on mit den ver­meint­lich per­fek­ten Leben ande­rer führt dazu, dass wir unse­re eige­nen Feh­ler als inak­zep­ta­bel emp­fin­den und uns noch mehr unter Druck set­zen.

Um die­sem Trend ent­ge­gen­zu­wir­ken, soll­ten wir uns bewusst machen, dass die Bil­der und Geschich­ten, die wir in sozia­len Netz­wer­ken sehen, oft nur die „High­light-Reels“ sind – eine geschön­te Dar­stel­lung der Rea­li­tät. Ein bewuss­ter und kri­ti­scher Umgang mit die­sen Medi­en kann hel­fen, den Druck zu redu­zie­ren und uns dar­an zu erin­nern, dass Feh­ler ein natür­li­cher Teil des Lebens sind.

Fazit: Gelassenheit im Umgang mit Fehlern

Abschlie­ßend lässt sich sagen, dass eine offe­ne Feh­ler­kul­tur für das per­sön­li­che und beruf­li­che Wachs­tum uner­läss­lich ist. Feh­ler zu machen bedeu­tet nicht, dass wir ver­sagt haben – im Gegen­teil, es ist eine Gele­gen­heit, zu ler­nen und uns wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Indem wir uns und ande­ren das Recht auf Feh­ler zuge­ste­hen, schaf­fen wir eine Umge­bung, in der Krea­ti­vi­tät, Inno­va­ti­on und per­sön­li­ches Wachs­tum geför­dert wer­den.

Es ist an der Zeit, den Druck, per­fekt sein zu müs­sen, hin­ter uns zu las­sen und statt­des­sen eine Kul­tur zu eta­blie­ren, in der Feh­ler als das ange­se­hen wer­den, was sie wirk­lich sind: wert­vol­le Lern­mo­men­te. Wir alle kön­nen dazu bei­tra­gen, indem wir offe­ner über unse­re eige­nen Feh­ler spre­chen, den Fokus auf das Ler­nen legen und ande­ren den Raum geben, ihre eige­nen Erfah­run­gen zu machen.

In einer Welt, die immer kom­ple­xer wird, ist es ent­schei­dend, dass wir den Mut haben, Feh­ler zuzu­las­sen und aus ihnen zu ler­nen. Denn nur so kön­nen wir uns wei­ter­ent­wi­ckeln und das vol­le Poten­zi­al unse­rer Fähig­kei­ten ent­fal­ten.

Titel: Foto von San­der Sam­my auf Uns­plash